Schule mit Courage – Gemeinschaft mit (Zivil-) Courage

Als Elternrat der Ida Ehre Schule sehen wir uns in der Verantwortung, eine Stellungnahme zu den Geschehnissen vom 19.08.2021 und der daraus resultierenden Berichterstattung von Schulbehörde, Polizei und Medien sowie der Kommunikation seitens der Schulleitung abzugeben.

Der Elternrat vertritt dabei die Meinungsvielfalt in der Elternschaft – innerhalb der Schulgemeinschaft, gegenüber der Schulleitung sowie dem Kollegium und bei Bedarf auch gegenüber der Öffentlichkeit.

Gemäß Schulgesetz (§72) sowie unserem Selbstverständnis entsprechend fällt hierunter auch, Eltern und Elternvertretungen über aktuelle Schulfragen zu informieren, mit den schulischen Gremien und Funktionsträger:innen zusammenzuwirken und vor allem, sich in der regionalen Öffentlichkeit für die Belange der Schulgemeinschaft einzusetzen. Die Mehrheit der anwesenden Vertreter:innen kann nach öffentlicher Beratung Stellungnahmen im Namen des Elternrats beschließen. In Bezug auf diese Stellungnahme ist dies einstimmig erfolgt.

Zusätzlicher Anlass unserer Stellungnahme ist auch die dringende Bitte der Schüler:innenvertretung, uns im Sinne einer differenzierten Darstellung und Aufarbeitung hinter (und vor) die jungen Menschen der Schulgemeinschaft zu stellen.

Am 19.08.2021 gab es am späten Nachmittag einen Vorfall zwischen Polizei und Kindern bzw. Jugendlichen in der Straße Schlankreye. Noch am selben Tag wurden der Elternrat und die Elternschaft seitens der Schulleitung über den Vorfall informiert. Von der aus unserer Sicht einseitigen Darstellung und voreiligen Bewertung des Vorfalls wurden wir überrascht und sind wegen der Schwere der formulierten Vorwürfe gegen die eigene Schüler:innenschaft betroffen und entsetzt. Auch die zuständige Behörde in Person des Senators sprang schon am nächsten Tag auf den bereits durch die Pressemitteilung der Polizei und erste Zeitungsberichte rollenden Zug der öffentlichen Vorverurteilung ohne weitere Prüfung auf und drohte mit “aller Konsequenz und Härte”.

Wer sich aber ohne Not – und vor allem auf dem sehr dünnen Eis einer noch dünneren Informationslage – gegenüber der Presse äußert und sich ausschließlich “erschrocken über die Entgleisung und das Gewaltpotenzial seitens der Schüler:innen” zeigt, muss sich über entsprechenden Applaus von “law and order”- Anhänger:innen und eine sich unaufhaltsam entwickelnde negative Berichterstattung nicht wundern. Die Verantwortung für solche Entwicklungen liegt dann nicht im Geschehen selbst.

Wir erwarten, dass die Kinder und Jugendlichen in so einer Situation zuallererst in Schutz genommen werden. Das verlangt die Fürsorgepflicht von Schulleitung und Schulbehörde. So wäre Raum gewesen, die Vorgänge in Ruhe und unter Einbindung aller Perspektiven – insbesondere aus Sicht der Schüler:innen – zu verstehen. Wir haben nicht den Eindruck und keinen konkreten Hinweis, dass dies auch nur im Ansatz geschehen ist.

Zur “Wahrheitsfindung”, die nun plötzlich statt Austausch und vielleicht auch notwendiger Traumabewältigung im Vordergrund steht, können wir als Eltern, die nicht vor Ort waren, nur bedingt beitragen. Die Einbeziehung der Perspektive der Schüler:innen aber, unserer Kinder, fordern wir mit Nachdruck! Bis heute hat es keine aktive, persönliche Kontaktaufnahme seitens der Schulleitung in Richtung der schulischen Gremien der Schüler:innen gegeben. Anlässe und Gelegenheiten zu wirklich niedrigschwelligem Austausch innerhalb der Schulgemeinschaft unter Beteiligung aller “Gruppen” offenbar ebenso wenig.

Denkbar und wünschenswert wären zum Beispiel vertrauliche pädagogische Gespräche, eine Pinnwand für anonyme Erlebnisberichte oder auch eine “offene Aula mit Speakers` Corner”, die von Verbindungslehrer:innen moderiert wird. Geeignete pädagogische Möglichkeiten gibt es sicher viele – leider wurden diese bislang nicht bzw. nicht ausreichend eingesetzt. Allerdings – und auch das sei hier ausdrücklich betont – gibt es glücklicherweise Lehrer:innen an unserer Schule, welche die Vorgänge sehr zugewandt und sensibel in der kleinsten Einheit der Schule – den Klassen – bearbeiten.

Die einseitige Darstellung und voreilige Bewertung und Verurteilung des Geschehenen durch die Schulleitung als “Gewalt- und Bedrohungsszenario”, das ausschließlich den Schüler:innen zugeschrieben wird, hat dazu geführt, dass die gesamte Schüler:innenschaft, zumindest aber alle Anwesenden, pauschal kriminalisiert werden. Die von der Schulleitung geäußerte subjektive Wahrnehmung und “Bestürzung über die scheinbare Empathielosigkeit” mündet noch vor den ersten persönlichen Gesprächen in Maßnahmen für Einzelne. Und darüber hinaus in ein von ihr selbst verordnetes Gewaltpräventionsprogramm für alle Schüler:innen, das sie trotz vereinbarten Stillschweigens medienwirksam verkündet hat.

Dies führt auch zu einer erheblichen und dauerhaften Rufschädigung für die Schule und die Schulgemeinschaft insgesamt. Schüler:innen berichten bereits über vielfältige Kommentare und auch Anfeindungen in den sozialen Medien, Eltern von abfälligen Äußerungen gegenüber der Ida Ehre Schule durch Außenstehende – vom Medienecho ganz zu schweigen. Dass bis heute die Schüler:innen, unsere Kinder, im Fokus der reißerischen und vorverurteilenden Berichterstattung nahezu aller Medien stehen, beruht auf der fahrlässigen Informationspolitik von Schulbehörde und Polizei. Bis heute warten wir auf eine Richtigstellung der Geschehnisse.

Die Ida Ehre Schule steht für Zivilcourage, Bewusstsein für Zeitgeschichte und gesellschaftliche Zusammenhänge. In den bisherigen Darstellungen wurde bislang nicht in Erwägung gezogen, dass die umstehenden protestierenden Schüler:innen im Sinne einer solchen Zivilcourage handelten. Viele Jugendliche schilderten später, dass die Situation aus ihrer Perspektive für Hinzukommende uneindeutig war, sie sehr wohl durch den gewaltsamen Einsatz des Polizisten alarmiert waren und den Eindruck hatten, dass der am Boden fixierte Jugendliche Hilfe bräuchte.

In diesem Zusammenhang fragen wir ebenfalls, warum das Beobachten der Situation von der Schulleitung als Problem dargestellt und öffentlich pauschal als ’Gaffen’ diffamiert wird. Wir betonen: Wir möchten nicht, dass unsere Kinder einfach vorbeigehen, wenn jemand schreit: “Ich bekomme keine Luft!”.

Ebenso gilt es, die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols zumindest hinterfragen und auf die Notwendigkeit von Verhältnismäßigkeit hinweisen zu dürfen, ohne gleich als aufrührerisch diskreditiert zu werden.

Wir sind der Meinung, dass die Schulleitung im Zusammenwirken mit Schulaufsicht und Behörde ihrem verpflichtenden Auftrag, die Schule und ihre Schüler:innen zu schützen, sich auch im Zweifel grundsätzlich vor sie zu stellen sowie zunächst eine interne Klärung (inklusive Unschuldsvermutung) herbeizuführen, nicht gerecht wurde und dies auch fortgesetzt nicht wird. Stattdessen erleben wir als Eltern und Familien bis heute ein reflexhaftes Auffahren des gesamten Arsenals an restriktiven Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen, pauschalisierende und ausweichende Kommunikation auf allen Ebenen und formalistische Reaktionen auf persönliche Betroffenheit. Uns fehlt genau an dieser Stelle die notwendige Empathie und pädagogisches Geschick.

Dass zahlreiche Suspendierungen “als Maßnahme zur Aufrechterhaltung des geordneten Schullebens und zur Vorbereitung für Ordnungsmaßnahmen”, wie es die zuständige Behörde in der Antwort auf eine schriftliche kleine Anfrage benennt, hier das Mittel der Wahl sind, kritisieren wir und halten dies für den falschen Ansatz. Zahlreiche Elternbriefe an die Schulleitung, die entsprechende Aspekte benannt haben, wurden bislang nicht oder unzureichend beantwortet.

Der Elternrat fordert die Verantwortlichen auf, ihre Fürsorgepflicht wahrzunehmen, die stattgefundenen Vorverurteilungen zu reflektieren und unsere Schulgemeinschaft zu schützen.

Der Elternrat der Ida Ehre Schule

Hamburg, 05.09.2021